4.4 Widerstand

Diese Aufgabe enthält Beispiele für Situationen, in denen Menschen nicht mit dem NS-Regime übereinstimmten oder sich sogar widersetzten. Diese Übungen sollen Ihr Verständnis für Empathie und die Wichtigkeit, Entscheidungen zu treffen und danach zu handeln, befördern - notwendige Eigenschaften, um die Wahrung demokratischer Werte und den Schutz der Menschenrechte sicherzustellen. 

Was ist zu tun?

Folgen Sie den Aufgabenstellungen für jeden Abschnitt.

Bewaffneter, ziviler und spiritueller Widerstand in den Gettos und während des Holocaust

 

AUFGABE 1: DEFINITION VON WIDERSTAND

Aufgabe 1a

  • Definieren Sie mithilfe der Schneeballtechnik den Begriff Widerstand.

Schneeball-Technik: Die Gruppe sitzt im Kreis. Die SchülerInnen finden sich paarweise zusammen und definieren gemeinsam den Begriff Widerstand. Nach Abschluss dieser Aufgabe nimmt jedes Paar mit einem anderen Paar Kontakt auf und versucht wieder einen Konsens über die Definition des Begriffs zu finden. Dann versucht jede Vierergruppe mit einer anderen Vierergruppe, einen Konsens über ihre Definition herzustellen.

Diese Übung wird so lange wiederholt, bis zwei große Gruppen mit ihren Definitionen übrigbleiben. Diese werden auf einer Tafel festgehalten. Anschließend kommentiert der Lehrbeauftragte die zwei Erklärungsmodelle und formuliert eine Definition, die die wichtigsten Teile von beiden vorgeschlagenen Definitionen enthält.

Aufgabe 1b

  • Lesen Sie die Definition des Widerstands von Roman Kent, einem Überlebenden des Gettos Lodz/Litzmannstadt und des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau.

  • Versuchen Sie nach sorgfältiger Lektüre, die von Roman Kent erwähnten Arten, Widerstand zu leisten, aufzuschlüsseln und Punkt für Punkt aufzulisten. 

"[…] Im Getto gab es eine Art kommunistische Bewegung. Einige der Führer waren sehr gute Freunde von mir - wir waren zusammen zur Schule gegangen. Sie organisierten in unserem Resort etwas, das wir in den USA "Slow Down Strike" nennen würden. Als die jüdische Getttoverwaltung von uns einforderte, 10 Rucksäcke pro Tag für die Bundeswehr herzustellen, machten wir nur zwei. Und wir stellten fest, dass die Betriebsführung Angst hatte, uns dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Denn hätten sie den Boykott offen zugegeben, wären sie von der deutschen Gettoverwaltung bestraft worden. Also spielten wir sie in gewisser Weise die jüdische gegen die deutsche Gettoverwaltung aus und retteten unser Leben durch eine sehr geringe Produktion. Ich erzähle das, weil ich so oft gehört habe, dass die Jüdinnen und Juden sich nicht aufgelehnt haben, sondern gleichsam wie Schafe in die Öfen gegangen sind. Aber das ist nicht wahr, weil auch der Boykott eine Form des Widerstands war. Widerstand muss nicht mit der Waffe erfolgen. Tatsächlich ist manchmal der bewaffnete Widerstand der einfachste.    

Aber als Konsequenz eines bewaffneten Angriffs auf die deutsche Gettoverwaltung wären weitere 1 200 Menschen getötet worden. Das hätte also nicht viel bewirkt. Aber ein passiver Widerstand wie der beschriebene ist auch ein Widerstand.  Wenn eine Mutter ihrem Kind ein Stück Brot gibt, damit es überleben kann -  ist das eine Form des Widerstands. Im Getto Lodz/Litzmannstadt gab es Widerstand. Wir hatten ein Sinfonieorchester und dieses Orchester spielte auch als es kalt war. Durch ihr Spiel gaben sie den Menschen im Getto den Willen, einen weiteren Tag und noch einen  Tag und noch einen zu überleben. Ja, es war vielleicht kein tödlicher Widerstand, aber es war ein Widerstand. Der Lehrer, der die Kinder im Getto unterrichtete - das war Widerstand, denn es war nicht erlaubt. Es gibt also viele Formen von Widerstand, die spirituell, moralisch usw. waren [...].

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AUFGABE 2: Gründe für den Warschauer Gettoaufstand

Aufgabe 2a

  • Lesen Sie die Erklärungen zu den Ursachen des Warschauer Gettoaufstands, die Noemi Szac-Wainkranc in ihrem Tagebuch formuliert hat.

"[…] Der Kampf geht weiter. Es gibt einen Wechsel der Kämpfer und eine Verschnaufpause in den Bunkern, aber jeder möchte kämpfen. Jeder glorifiziert die Vorstellung des Todes im Kampf gegen den Feind. Was für eine Freude ist es, eine Waffe auf ihn zu richten, und zu spüren, dass man seine Familie rächen kann, zu spüren, dass man kein wehrloses Tier ist, das zum Schlachten geführt wird, sondern ein Mensch, der kämpfen, schießen und Panzer mit Benzin übergießen kann, eine Person, die eine Waffe auf die Deutschen richten und  töten kann. […] In der zweiten Woche des Aufstands besetzten wir die gesamte Leszno-Straße, drängten die Deutschen vom anderen Ufer des Flusses weg und erbeuteten Waffen und Uniformen. […] Es war leicht. Wir haben alle Lager mit Ersatzteilen, Maschinen und Uniformen beschlagnahmt. Immer mehr deutsche Divisionen wurden an unsere Front geschickt, aber wir wurden durch unsere Stärke, unsere Hartnäckigkeit und einen einzigen Gedanken gestärkt: Wir müssen uns rächen!  

Zugegebenermaßen schien sich alles in Chaos aufzulösen, aber das erschien nur so an der Oberfläche. Eigentlich lief alles nach Plan, so wie wir es an diesen traurigen Abenden am Tisch besprochen hatten. Könnten unsere Pläne zum Abriss der Mauern tatsächlich verwirklicht werden? Flucht wäre für uns ein Sieg gewesen. Aber es gab kein Entrinnen. Wo auch immer wir hingingen, das Scheitern war sicher und der Sieg - es konnte nur einen Sieg geben:  so lange wie möglich durchzuhalten und die größtmögliche Anzahl von Deutschen zu töten. Wir waren nicht unglücklich: im Gegenteil, für uns war es der größtes Glück. Weder Angst noch Schmerz existierten für uns. Können Sie einen solchen Tod mit dem Tod in einer Gaskammer vergleichen? […] Sterben! Für meine Mutter, für meinen Vater, für meine Kinder, für unser Leben! Ich ziele auf dich! Oh Gott, bitte lass den Schuss sein Ziel treffen!  […]"

Aufgabe 2b

Der Aufstand im Warschauer Getto war der erste bewaffnete Widerstand  gegen das NS-Regime auf dem besetzten europäischen Territorium, aber nicht die einzige Waffenaktion, die von Jüdinnen und Juden initiiert  wurde. 

Es gab verschiedene Aktionen, die von jüdischen Partisanengruppen in ganz Europa organisiert wurden, deren Ausmaß sich von Ort zu Ort unterschiedlich war. Die Aufständischen im Warschauer Getto verfügten nur über eine geringe Schlagkraft. Doch obwohl sie keine realistischen Chancen auf Erfolg hatten, beschlossen sie zu kämpfen. square.jpg

  • Nennen Sie - basierend auf den Zitaten aus dem Tagebuch von Noemi Szac-Wainkranc - Gründe für den Gettoaufstand  in Warschau. 

  • Suchen Sie im Internet nach anderen Orten des jüdischen Widerstands in der NS-Zeit und des Holocaust. Markieren Sie auf der Europakarte die Orte, an denen die Widerstandshandlungen gegen das NS-Regime stattgefunden haben. Finden Sie mindestens fünf solcher Orte abgesehen von Warschau (Polen). Denken Sie daran, Ihre Informationen mit mindestens zwei verschiedenen Quellen / Websites zu überprüfen. 

 

Aufgabe 3: Widerstand einer Jugendgruppe

Aufgabe 3a

  • Lesen Sie das "Manifest" der Jüdischen Pionierjugendgruppe von Wilna, die am 1. Januar 1942 zum Widerstand aufrief.

"Sie werden uns nicht wie Schafe zur Schlachtbank führen!

Jüdische Jugend, lasst euch nicht in die Irre führen. Von den 80 000 Juden im „Jerusalem von Litauen“ [Wilna] sind nur 20 000 übrig geblieben. Vor unseren Augen haben sie uns unsere Eltern, unsere Brüder und Schwestern entrissen. Wo sind die hunderten Männer, die von den litauischen "Entführern" zur Zwangsarbeit deportiert wurden? Wo sind die entblößten Frauen und Kinder, die uns in der Nacht des Schreckens der Provokatzia genommen wurden? Wo sind die Jüdinnen und Juden, die am Versöhnungstag (Jom Kippur)  verschleppt wurden?

Wo sind unsere Brüder aus dem zweiten Getto?

Alle, die aus dem Getto weggebracht wurden, kamen nie zurück.

Alle Wege der Gestapo führen nach Ponary. Und Ponary ist der Tod!

Zweifler! Macht euch keine Illusionen! Ihre Kinder, ihre Ehemänner und ihre Ehefrauen leben nicht mehr!  

Ponary ist kein Lager - alle werden dort erschossen.

Hitler will alle Juden Europas vernichten. Es ist das Schicksal der Juden Litauens,  die Ersten in der Reihe zu sein.

Lasst uns nicht als Schaf zum Schlachten gehen!

Wir sind zwar schwach und wehrlos, aber Widerstand ist die einzige Antwort auf die Feindesmacht! Brüder! Es ist besser, als freie Kämpfer zu fallen, als von der Gnade der Mörder zu leben. Widerstand! Bis zum letzten Atemzug."

1. Jänner 1942, Vilna Ghetto. Moreshet Archives, D. 1.4630.

Aufgabe 3b

Beantworten Sie die folgenden Fragen:

1. Welche Ereignisse in Litauen hatten unmittelbaren Einfluss auf das Manifest, das die jüdischen Gettoinsassen in Wilna zum bewaffneten Widerstand aufrief?

2. Suchen Sie nach Informationen über Ponary: Was war es? Was ist dort passiert?

3. Glauben Sie in Anbetracht der Textinformationen über den zivilen Widerstand im Getto, dass der Satz "Sie sollen uns nicht wie Schafe zur Schlachtbank führen" die Situation in den Gettos widerspiegelt?

4. Anschließend wurde das "Manifest" anderen Gruppen jüdischer Jugendlicher in den Gettos der besetzten Gebiete übermittelt. Welchen Einfluss  könnte der Inhalt auf die jüdischen Organisationen in den Gettos ausgeübt haben? 

Aufgabe 3c

Mitglieder des Familienlagers, die sich geschützt durch die Partisanenabteilung von Tuvia Bielski bis 1944 in den Wäldern nahe des Dorfes Naliboki in Weißrussland (ehemals Polen) versteckten (Kommandant Yehuda Bielski, zweite Reihe rechts, sitzend.)

Beantworten Sie die folgenden Fragen:

1. Schauen Sie sich das Foto genau an. Geben Sie an, wo und zu welcher Jahreszeit es aufgenommen wurde.

2. Welche Personen wurden fotografiert?

3. Auf dem Foto ist Tuvia Bielski als Dritter von links zu sehen. Er war der Kommandant der Partisanengruppe, die das Lager der jüdischen Familien im Naliboki-Wald beschützte. Um welche Art von Fotografie handelt es sich Ihrer Meinung nach in Anbetracht der Bildkomposition und der Kleidung der abgebildeten Personen? Zu welchem Zweck wurde es aufgenommen?

Aufgabe 3d

Eine Gruppe von Partisanen aus verschiedenen Kampfverbänden, die den Flugplatz im Wald bei Naliboki (Weißrussland, ehemals Polen) bewachten. Darunter Partisanen um die Bielski-Brüder, die in den Jahren 1942-1944 in diesem Wald aktiv waren, 20. Juli 1944.

Beantworten Sie die folgenden Fragen:

1. Schauen Sie sich das Foto genau an. Geben Sie an, wo und zu welcher Jahreszeit es aufgenommen wurde.

2. Können Sie an der Kleidung der fotografierten Personen und ihrer Ausrüstung erkennen, welche Berufe die fotografierten Personen ausgeübt haben?

3. Analysieren Sie die beiden Fotos. Worin bestehen die wesentlichsten Unterschiede zwischen den beiden Personengruppen? Was könnten diese Personen gemeinsam haben und was unterscheidet sie von einander?

Aufgabe 3e

Zusätzliche Aufgaben und Fragen:

1. Nutzen Sie verfügbares Datenmaterial, um Informationen über jüdische Partisanen in Belarus (Weißrussland) zu sammeln.

2. Finden Sie heraus, wie die Lager jüdischer Familien, die aus den liquidierten Gettos geflüchtet waren, in den Wäldern eingerichtet wurden und wie sie funktionierten.

3. Informieren Sie sich über die Bielski-Brüder, die Organisatoren einer jüdischen Partisanengruppe im Naliboki-Wald in Weißrussland.

4. Überlegen Sie, welche Hauptaufgaben und Ziele die in Osteuropa tätigen jüdischen Partisanengruppen hatten.

5. Wenn Sie die verschiedenen Einstellungen der jüdischen Bevölkerung zum Holocaust analysieren, wie würden Sie die Haltung und das Handeln der jüdischen Partisanen beschreiben?

 

 

Aufgabe 4: Zusammenfassung

Die Meinung, dass Jüdinnen und Juden passiv waren und sich nicht wehrten, ist weit verbreitet. Bezugnehmend auf diese Annahme schlägt Ellie Wiesel ein Umdenken vor: "Die Frage ist nicht, warum so viele Juden nicht gekämpft haben, sondern wie viele von ihnen gekämpft haben. Gequält, geschlagen, verhungert, woher haben sie die - geistige und körperliche - Kraft genommen, zu widerstehen."   square.jpg

  • Denken Sie über die Aussage nach und schreiben Sie 1–2 Absätze, in denen Sie erläutern, was Jüdinnen und Juden dazu gebracht haben könnte, gegen den Vernichtungsplan der Nationalsozialisten vorzugehen. Welche Formen von Widerstand können Sie nennen? Versuchen Sie eine Antwort auf die Frage zu finden: Worin könnten die Ursachen für diese frühere Fehleinschätzung liegen?